Halb drei bei den Elefanten by Groh Kyra

Halb drei bei den Elefanten by Groh Kyra

Autor:Groh, Kyra
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Blanvalet
veröffentlicht: 2014-12-17T05:00:00+00:00


25. KAPITEL

in dem Jonas platt ist

In der letzten Augustwoche haben Levi Baumann und ich eine ernsthafte Beziehungskrise. Zuerst scheiterte ich bei meinen Recherchen an diversen französischen Zeitschriftenartikeln (nur zur Erinnerung: Ich habe acht Jahre lang eifrig Latein gelernt – auf Französisch kann ich lediglich fragen, ob mein Gegenüber mit mir schlafen mag). Nun bin ich mit meiner erfundenen Hausarbeitsthese in eine derartige Sackgasse geraten, dass mein zuständiger Dozent als Paartherapeut herhalten muss. Also vereinbare ich einen Sprechstundentermin bei ihm. Das mache ich für gewöhnlich nie, da ich mir dann ja eingestehen müsste, dass ich einen Fehler gemacht habe und meine Meinung besser noch einmal überdenken sollte.

Dr. Edgar Bayer freut sich wie ein kleines Kind, dass wenigstens eine seiner Studentinnen bei über dreißig Grad den Weg in sein schlecht gelüftetes Büro findet. Er ist ein großer Mann mit einer kreisrunden, winzig kleinen Brille, buschigen Augenbrauen und rabenschwarzem Haar. Selbst bei diesem Wetter trägt er ein weißes Hemd mit ordentlich hochgekrempelten Ärmeln. Sein Büro versinkt in einem Meer aus Büchern und Zeitschriften über sein Fachgebiet, die jüdische Geschichte.

»Frau … äh … von Steinacker«, sagt er und späht durch die dicken Brillengläser auf die Terminliste vor ihm auf dem Schreibtisch. Sie ist leer, bis auf meinen Namen. Alle anderen liegen bestimmt gerade im Freibad. Oder auf dem Balkon. Oder am Goldstrand. »Ja, dann nehmen Sie mal Platz. Erzählen Sie mal. Was ist Ihr Problem?«

»Es geht um meine Hausarbeit.«

»Sehr schön, sehr schön. Also, ich persönlich finde es ja immer gut, wenn ich mich mit jemandem austauschen kann. Die Gedanken fließen lassen. Das Rohmaterial schleifen. Mir hilft das jedes Mal sehr. Bei meiner zweiten Doktorarbeit in Politikwissenschaften war es jedenfalls so. Die erste habe ich ja mehr im Alleingang gemacht, aber …« Herr Dr. Bayer besitzt ein Nähkästchen mit schier grenzenlosem Umfang, aus dem er plaudern kann. Er fängt sich mit einem Räuspern. »Nun gut. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, haben Sie mein Vertiefungsmodul ›Neue Geschichte‹ besucht? ›Kippa, Tora, Schläfenlocken – jüdische Klischees im einundzwanzigsten Jahrhundert‹?«

Ich runzele die Stirn. »Nein. Ich war im Grundlagenmodul ›Israel, USA, die ganze Welt – warum und wohin Juden auswanderten‹.« Dr. Bayer verfolgt bei der Namensgebung seiner Seminare ein eindeutiges Schema.

Daraufhin lächelt er freundlich und sagt: »Natürlich.« Sonderlich gut vorbereitet hat er sich offenbar nicht auf unser Gespräch. »Dann legen Sie mal los.«

Also berichte ich Herrn Bayer mit zusammengebissenen Zähnen von meiner Theorie, Levi Baumann sei eigentlich in die USA abgehauen, weil er an Liebeskummer litt. Mein einziger Beweis dafür ist eine Scheidungsurkunde. Ich schmücke hier ein bisschen aus, ergänze da ein bisschen Halbseidenes und versuche dabei, voll und ganz überzeugt von mir zu wirken.

Bayer schaut mich nach meinem Monolog überrascht an, kneift die ohnehin schon winzig kleinen Augen noch fester zusammen und resümiert: »Sie glauben also, dass unser Herr Baumann gerade mal fünf Jahre vor der Gleichschaltung aus rein privaten Gründen aus Deutschland – wie nannten Sie es – verduften wollte?«

Habe ich gerade verduften gesagt? Huch …

Mit einem Mal reißt er die Augen auf. »Das finde ich fantastisch! Gewagt, aber fantastisch! Ich sage ja immer, man muss auch mal etwas wagen.



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